Erste Hilfe für Gefühlsverarbeitung – Teil 1

Einleitung

Jeder Mensch hat Emotionen, trotzdem werden diese ganz individuell erlebt und körperlich als Gefühle ausgedrückt. Gefühle sind physische Antworten auf emotionale Erfahrungen, die wir machen. Diese Erfahrungen können sowohl positiv als auch negativer Natur sein und spiegeln sich in unserem Körper [1] wider. Es gibt nicht umsonst Redewendungen, wie „Die Angst sitzt mir im Nacken“, „Schmetterlinge im Bauch haben“ oder „mein Herz springt vor Freude“, die wir mit Gefühlen in Verbindung setzen.

Obwohl Emotionen zum täglichen Leben ganz selbstverständlich dazugehören und uns dabei helfen unser Überleben zu sichern, gibt es Emotionen, die wir Mensch einfach nicht fühlen wollen, da wir die damit verknüpften Glaubenssätze sowie die dadurch ausgelösten körperlichen Reaktionen nicht spüren und erleben wollen. Diese Gefühle, wie u.a. Angst, Wut, Trauer, Ekel, Neid und Eifersucht werden als negativ bezeichnet. Diese Emotionen lösen Distress in uns aus. Interessanterweise können auch als positiv bezeichnete Emotionen wie Freude, Liebe und Glück negative Glaubenssätze und Gefühle (oft Angst) hervorbringen und ähnliche körperliche Reaktionen auslösen, aber da diese mit Freude begleitet werden (Eustress) sind wir eher bereit uns auf diese einzulassen.

Der Psychologe Paul Ekman hat Emotionen genauer erforscht und stellte dabei fest, dass es folgende sieben Basisemotionen gibt, die sich in kulturübergreifenden, charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Verachtung, Trauer und Ekel. Diese Emotionen sind instinktiv eingespeichert und somit an jeder Person sofort erkennbar.

„Gefühle können als Ausdruck der Existenz einer Person wahrgenommen und wertgeschätzt werden. In dem Wort <Ausdruck> steckt jedoch bereits mehr: Jedes Gefühl wird ausgedrückt – und kann dann auch als Botschaft von jemanden an jemanden verstanden werden“.
(Schlippe & Schweitzer 2016, S 253)

Worin unterscheidet sich eine Emotion von einem Gefühl?

Eine Emotion ist die automatisierte Reaktion auf ein Erleben, während das Gefühl die individuelle Nachbearbeitung des Körpers auf die Emotion widerspiegelt. Da wir alle unterschiedliche Erlebnisse und somit auch andere Erfahrungen haben, reagieren wir auf die jeweiligen Emotionen ganz unterschiedlich in der Gefühlsverarbeitung. Selbst unsere momentane Tagesverfassung kann uns mannigfaltig auf der Gefühlsebene reagieren lassen.

Wie geht unsere Gesellschaft mit Gefühlsverarbeitung um?

Unsere Gesellschaft ist so auf die Schulung des analytischen Verstandes fixiert, dass es die Schulung der Emotionsverarbeitung komplett außen vor gelassen hat. Somit lernen Kinder (die späteren Erwachsenen, die wiederum Kinder ohne Vorwissen erziehen) weder im eigenen Elternhaus noch in der Schule, wie sie aufkommende Emotionen gut auf der Körperebene verarbeiten können. Das soziale System ist sogar so ausgerichtet, dass es erst, wenn es einen Zusammenbruch gibt, weil man die Verarbeitung durch schwierige Erlebnisse nicht gut handhaben konnte, als krank eingestuft wird und zu einer psychischen Behandlung geschickt wird. Dabei könnte man präventiv so viel machen, indem es einem von klein auf bereits beigebracht wird und in den Betreuungseinrichtungen wie Kindergarten und Schulen ganz selbstverständlich als Gegenstand dazugehört.

Aus einem mir nicht nachvollziehbaren seltsamen Grund, gehen viele Erwachsene sogar davon aus, dass man das für das gesunde Verarbeiten dieser Gefühle notwendige Knowhow ganz selbstverständlich bereits bei der Geburt mitbekommen hätte. Ich habe leider schon viel zu oft Erwachsene dabei beobachtet, wie sie ihren Kleinkindern gegenüber Vorhaltungen bezüglich ihrer Gefühlsverarbeitung machen, anstatt sie währenddessen liebevoll zu begleiten und anzuleiten. Aussagen wie: „reiß dich zusammen“ oder „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ werden dann als „Lehranleitung“ an die Kinder weitergegeben.

Wenn wir also auf unsere individuelle Art auf aufsteigende Emotionen mit Gefühlsausbrüchen reagieren, wird einerseits erwartet, dass wir wissen, wie wir damit adäquat umgehen und andererseits auch noch unser momentaner Gefühlsausbruchsverarbeitungsversuch negativ bewertet, weil die Personen, die das gerade miterleben, damit überfordert sind. Es triggert ihre eigene Unfähigkeit und wirkt dadurch sehr belastend. Kinder verstehen das aber leider nicht und beziehen deren Stress auf sich. Sie glauben somit tatsächlich es liege an ihnen, was diesen traurigen Kreislauf dadurch verstärkt. Deshalb braucht unsere Gesellschaft dringend Erste-Hilfe-Vorbereitungskurse für Gefühlsverarbeitung für zukünftige Eltern, Lehrer*innen, Ärzt*innen etc., um endlich aus diesem Hamsterrad aussteigen zu können.

Wie werden Emotionen im Körper verarbeitet?

Starke negative Emotionen entstehen bei der Verarbeitung von Sinneserfahrungen und werden im limbischen System (in der Amygdala) dauerhaft abgespeichert.

Wahrnehmungs- und Denkprozesse laufen zu 80 % unbewusst ab und unsere Aufmerksamkeit geht zu 99 % wieder dorthin zurück, wo es bereits Erfahrungen gesammelt hat. (Roth 2019). Somit haben wir mit unserem analytischen Verstand keine Möglichkeit aufsteigende Emotionen zu verhindern, da diese Prozesse unwillkürlich ablaufen.

Es lassen sich also Gefühlsausbrüche weder vermeiden noch können wir diese willentlich auf Befehl abstellen, da diese nicht willentlich steuerbar sind.  Einem Kleinkind zu sagen, es soll gefälligst nicht wütend sein und sich zusammenreißen ist meiner Meinung nach ein fahrlässiger Umgang. Kein Wunder, dass der Großteil der Erwachsenen keinen gesunden Umgang damit gelernt hat, und nicht nur das, sie glauben auch noch, sie müssten das können (durch die Kindheitserfahrungen mit unbewussten Eltern) und holen sich diesbezüglich viel zu selten Unterstützung, weil sie sich dafür auch noch schämen und selbst verurteilen. Deshalb reagieren viele Menschen mit Unterdrückung und Verleugnung der eigenen Emotionen und verhindern damit ein freies Fließen lassen durch den Körper.


Es macht keinen Sinn daran zu arbeiten, keine Angst, Wut, Trauer etc. zu fühlen. Woran wir jedoch sehr wohl arbeiten können ist, wie wir mit den Emotionen umgehen, d.h. wie wir die Gefühle im Körper so verarbeiten, dass wir trotzdem gut mit ihnen leben können.

Was passiert, wenn wir Gefühlsausbrüche negativ bewerten?

Negative Bewertungen haben einen Verstärkereffekt und bewirken, dass wir bei zukünftigen Gefühlsausbrüchen durch die eingespeicherten Bewertungen den neuerlichen Gefühlsausbrüchen mit Widerstand begegnen. Emotionen agieren wie Wellen im Meer, lassen wir sie ungehindert fließen, kann eine Welle nach der anderen kommen und es wird nicht mehr passieren, als dass wir wissen, es ist gerade Unruhe da. Sind wir allerdings auf Widerstand kämpfen wir dagegen an, was uns viel Kraft und oft auch noch mehr Bewertung (Verstärkereffekt) bringt, was den Negativkreislauf noch anheizt.

Teil 2 – ERSTE HILFE KURS FÜR GEFÜHLSVERARBEITUNG – Was braucht es zur stimmigen Verarbeitung von Gefühlen?

Teil 3 – ERSTE HILFE KURS FÜR GEFÜHLSVERARBEITUNG – hilfreiche Tools zum Umgang mit Gefühlen

[1] nähere Infos, wo man welche Gefühle im Körper wahrnehmen kann findest du hier: https://sciencev2.orf.at/stories/1730946/index.html

nähere Informationen wie wir unsere „Realität“ konstruieren findest du auch in meinem Blogbeitrag: „Was ist die Realität?“

sowie mehr Information über das Konstruieren von „Glaubenssätzen“ findest du in diesem Blogbeitrag:  „Glaubenssätze“

LITERATUR:

Roth, G. (2019) Wie das Gehirn die Seele macht, Klett Cotta

Schlippe, A. V., & Schweitzer, J. (2016). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I, Vandenhoek und Ruprecht

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